Anonyme Bewerbungen – Chancengleichheit für Bewerber?
Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann, Integration von Menschen mit Migrationshintergrund … all das sind Kernfragen einer sozialen Gesellschaft, die auch vor dem Arbeitsmarkt nicht halt machen. Im Rahmen der Stellenneubesetzung belegen Studien, dass vor allem das Bewerbungsfoto, welches dem Personaler einen ersten Eindruck von der sich bewerbenden Person vermittelt, einen Einfluss auf die Entscheidung hat.
Attraktive und gut gekleidete Menschen sind zwar nicht unbedingt besser im Job, wirken aber sympathischer und haben deshalb oft bessere Chancen auf eine Anstellung. Auch die Nationalität kann Einfluss auf den Erfolg der Bewerbung haben. Ist eine Frau schwanger oder erzieht ein Kleinkind, kann der Personaler sie für schlechter geeignet halten, als einen ledigen Mann ohne konkrete Familienpläne.
Das Projekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“
Um die Chancengleichheit für alle Bewerber bis zum Vorstellungsgespräch sicherzustellen, Vorurteile abzubauen und unbewusste Benachteiligungen in der ersten Bewerbungsphase zu vermeiden, wurde Ende 2010 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ gestartet.
In diesem Projekt wurde das neue Bewerbungsverfahren bei der Besetzung von offenen Stellen in der Praxis getestet. Teilgenommen haben 5 Unternehmen aus der freien Wirtschaft, wie die Deutsche Telekom und das Internetportal mydays.de sowie 3 öffentliche Einrichtungen, darunter die Stadt Celle und das Bundesfamilienministerium. Der Feldversuch dauerte über ein Jahr.
Die Besonderheiten einer anonymen Bewerbung
Die anonyme Bewerbung verzichtet komplett auf die Angabe persönlicher Daten zum Kandidaten. Dazu gehören Name, Geschlecht, Alter und Nationalität. Darüber hinaus werden keine persönlichen Interessen preisgegeben und es wird auch nicht aufgeführt, ob der Bewerber bereits eine Familie und Kinder hat. Das Bewerbungsfoto sucht der Personaler ebenfalls vergebens. Erst nach dem Versenden einer Einladung zum Vorstellungsgespräch wird die Anonymisierung aufgehoben und der Personaler erhält vollen Zugang zu den persönlichen Daten des Bewerbers.
Durch die Anonymisierung der Daten rückt die Qualifikation des Bewerbers, also Ausbildung und Berufserfahrung, in den Vordergrund. Es profitieren besonders Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen mit Berufserfahrung.
Wie wird die Anonymisierung der Bewerbungsunterlagen erreicht?
Grundsätzlich gibt es 3 Möglichkeiten, die Anonymisierung zu gewährleisten:
- Das Unternehmen stellt dem Bewerber standardisierte Bewerbungsbögen per Download oder Post bereit. Die Bögen werden ausgefüllt und an das Unternehmen zurückgeschickt.
- Online-Bewerbungsformulare in Verbindung mit einem Kontaktformular. Das Kontaktformular beinhaltet die persönlichen Daten, das Bewerbungsformular die anonymisierten Informationen. Letzteres wird dadurch erreicht, dass bestimmte Eingabefelder schlichtweg fehlen.
- Die Anonymisierung der Daten wird durch das Unternehmen nach Eingang einer Bewerbung mittels Schwärzen oder Datenaufbereitung durchgeführt.
Ergebnisse des Pilotprojekts
Beibehalten haben das Bewerbungsverfahren vier Unternehmen, darunter mydays.de und die Stadt Celle. Andere Unternehmen gaben an, dass aus der anonymen Bewerbung kein zusätzlicher Gewinn gezogen werden kann. So ist in großem Unternehmen das Thema Antidiskriminierung und Chancengleichheit oft bereits anderweitig erfolgreich umgesetzt. Darüber hinaus ist vielmals auch ausdrücklich eine Diversifikation erwünscht. Diese wird durch die Anonymität allerdings erschwert.
Welche Vor- und Nachteile hat das Bewerbungsverfahren?
Positiv sind folgende Punkte zu betrachten:
- Die Qualifikation des Bewerbers rückt in den Vordergrund. Vorurteile werden abgebaut.
- Chancengleichheit wird als Botschaft an die Bewerber geschickt. Dadurch bewerben sich Bewerberschichten, die sich sonst nicht beworben hätten.
- Das Unternehmen geht nach außen offen mit dem Thema Diskriminierung um. Das führt zum Imagegewinn.
- Das Unternehmen ist sicher gegen Rechteverstöße, die aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entstehen könnten.
Demgegenüber stehen auch Nachteile:
- Die Anzahl der Vorstellungsgespräche erhöht sich. Das führt zu höheren Kosten auf Unternehmensseite.
- Oft ist eine gezielte Durchmischung der Belegschaft nach Geschlecht, Alter etc. erwünscht. Die Entscheidungsgrundlage hierfür fehlt.
- Durch die notwendige Aufbereitung der Bewerberdaten erhöht sich der Bürokratieaufwand im Unternehmen. Es entstehen zusätzliche Kosten.
- Neben der reinen Qualifikation sind auch die sekundären Eigenschaften des Bewerbers wichtig. Der Bewerber kann damit aber nicht mehr punkten.
- Bewerber können mit versteckten Formulierungen das System aushebeln.
- Anhand von Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen kann indirekt auf sekundäre Eigenschaften geschlossen werden.
- Letztendlich fällt die Entscheidung im Vorstellungsgespräch. Somit entstehen für Bewerber zusätzliche Kosten, die sonst gar nicht eingeladen worden wären.
In Ländern, wie den USA, Kanada oder Großbritannien, ist die anonyme Bewerbung schon seit Jahren üblich. In Deutschland bildet das Bewerbungsverfahren „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ keine gesetzliche Grundlage, kann aber durch Unternehmen freiwillig umgesetzt werden. Es ist eher als Impuls zu verstehen. Richtlinien zur Umsetzung dieses Bewerbungsverfahrens sind auf den Seiten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu finden.
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2 Kommentare
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Jan schrieb am 1. Februar 2013:
Ich finde man muss die Kirche auch im Dorf lassen. Aus meiner Sicht suggeriert die Idee der anonymen Bewerbung, dass jeder Kandidat mit einer guten Eignung auf dem Papier auch gleichermaßen gut in ein Team passt. Dem ist mit nichten so, und da ist keine Diskriminierung ein Faktor. Es gibt einfach hin und wieder Kandidaten, da stimmt die Chemie vorn und hinten nicht. Sicher kann man dies mit Fotos und Namen nicht vollständig feststellen, aber man bekommt mit etwas Menschenkenntnis eine Idee. Zudem kann man sich über Facebook und andere Kanäle etc. ein Bild machen. Und das ganz ohne Diskriminierung oder Vorurteile. Mir persönlich geht es dabei in erster Linie darum, dass die neuen Mitarbeiter ins Team passen müssen.
karl gustav schrieb am 24. März 2014:
Hallo zusammen.
Ich finde die Übersicht zu den pros und contras sehr gut gelungen.
Ich kenne ein wenig den Hintergrund, der die Amerikaner zu einer anderen
rechtlichen Grundlage geführt hat. Und gerade bei Persone, die unabhängig ihrer
potentiellen Leistung im späteren Job einige Makel oder Stigmata aufweisen, ist es eine wahre Leistung, sich von oberflächlichen Entscheidungskriterien zu lösen. Die zusätzlichen Kosten sollten meiner Meinung nach nicht allzusehr ins Gewicht fallen.
chapeau